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(S10) Mobilität von Humankapital
Diese Sendung dient als Einleitung in das Kernthema Mobilität von Humankapital.
Lernziele:
- Formen von Humankapitalmobilität erklären
- Bedeutung von Humankapitalmobilität im Kontext von Entwicklungsprozessen erläutern
- Humankapitalmobilität als Kernthema in der Forschung zu M&E einordnen
Humankapitalmobilität im M&E-Kontext
Die Mobilität von Humankapital ist ein Kernthema in der Migrations- und Entwicklungsforschung. Besonders die Migration hochqualifizierter Arbeitskräfte hat weitreichende Auswirkungen auf die Herkunfts- und Zielregionen. Einerseits führt der sogenannte brain drain oft zu einem Verlust wertvoller Fachkräfte in den Herkunftsregionen, was deren Entwicklung beeinträchtigen kann. Andererseits kann brain gain durch die Rückkehr oder Ankunft dieser Fachkräfte mit neuen Fähigkeiten und Erfahrungen positive Impulse setzen. Das Konzept der brain circulation beschreibt dabei den kontinuierlichen Austausch von Wissen und Fähigkeiten, der durch die zirkuläre Migration und wiederholte Bewegung von Fachkräften zwischen Herkunfts- und Zielregionen ermöglicht wird.
Steinbrink, M., Schmiz, A. (2019): Migration und Entwicklung – Neue Debatten um ein altes Thema. In: Gamerith, W., Scharfenort, N. (Hrsg.): Menschen, Migration und Mobilität (Passauer Kontaktstudium Geographie15). Passau, S. 63-84.
Humankapital
Humankapital ist ein ökonomischer Begriff, der die Bedeutung von Bildung und Erfahrung für die Produktivität und den wirtschaftlichen Erfolg eines Individuums oder einer Gruppe betont.
Mit Blick auf die Mobilität von Humankapital ist die Qualifikation von Migrant:innen relevant. Häufig wird unterschieden zwischen (highly) skilled migrants und less skilled migrants. Die Unterscheidung beruht häufig auf dem höchsten abgeschlossenen Bildungsniveau. Daten zu formalen Bildungsabschlüssen sind global verfügbar und ermöglichen Vergleichbarkeit von Qualifikationen. Hochqualifizierte Migrant:innen sind solche mit Abschlüssen im Tertiärbereich (z. B. Hochschulabschlüsse). Die Konzentration auf formale Bildungsabschlüsse schließt jedoch einige "talentierte" Personen aus, z. B. Spitzensportler, Künstler, Musiker oder erfolgreiche Unternehmer ohne formalen Abschluss.
Die Wertschätzung von Humankapital spiegelt sich in punktebasierten Einwanderungssystemen wider. Die Einstufung im kanadischen Comprehensive Ranking System (CRS) berücksichtigt u. a. Fähigkeiten, Ausbildung, Sprachkenntnisse und Berufserfahrung. Auch andere Länder des Globalen Nordens erleichtern die Einwanderung für hochqualifizierte Personen oder stark nachgefragte Berufsgruppen.
Skeldon, R. (2020): Skilled Migration. In: Bastia, T., Skeldon, R. (eds.): Routledge Handbook of Migration and Development. New York: Routledge, p. 136–145.
Im Lexikon der Wirtschaft der bpb wird Humankapital definiert als ...
... die Summe der wirtschaftlich nutzbaren Fähigkeiten, Kenntnisse und auch Verhaltensweisen der Erwerbsbevölkerung einer Volkswirtschaft. Der Begriff bringt zum Ausdruck, dass erst die Ausbildung ein Individuum wirklich befähigt, volkswirtschaftlich produktiv tätig zu werden [...]. Statistisch kann das Humankapital nur indirekt anhand sozialer Indikatoren (z. B. Art der schulischen Ausbildung) gemessen werden. Als Investitionen in Humankapital sind demnach die Ausgaben für Erziehung, Aus- und Weiterbildung anzusehen.
Mit dem CRS-Calculator kann man online seinen persönlichen Score im kanadischen Visasystem berechnen. Der CanadaVisa-Skilled-Occupation-Classifier ermöglicht es, die Einstufung verschiedener Berufe abzufragen.
Wenn du dies ausprobieren möchtest, klicke einfach hier, um auf die Website weitergeleitet zu werden.
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Brain Drain - Brain Gain
Der Begriff brain drain (wörtlich "Abfluss vom Gehirn") bezeichnet den Verlust von Humankapital durch Abwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte. Aufgekommen in den 1960er Jahren als Beschreibung für die Abwanderung von Wissenschaftler:innen aus Großbritannien in die USA, wurde der Begriff später zum Schlagwort in der Entwicklungsdebatte. Aus einer kritischen Perspektive betrachtet, wird die Migration von Fachkräften aus dem Globalen Süden in den Globalen Norden als entwicklungshemmend für die Herkunftsländer gesehen, während der damit verbundene brain gain im Globalen Norden die bestehenden globalen Ungleichheiten weiter verstärkt.
Zu den vom brain drain betroffenen Sektoren zählen insbesondere das Gesundheitswesen, Bildung, IT, Ingenieurswesen, Wissenschaft und Forschung, Finanzwesen, Kreativwirtschaft und Unternehmertum. Für hochqualifizierte Arbeitskräfte aus diesen Bereichen gibt es einen internationalen Arbeitsmarkt mit hoher Nachfrage. Niedrige Löhne, schlechte Arbeitsbedingungen, geringe Karrierechancen sowie weitere politische und gesellschaftliche Faktoren in den Herkunftsregionen bieten für stark umworbene Fachkräfte einen Anreiz zur Migration.
Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen für die Herkunftsgebiete sind weitreichend. Der Verlust von Humankapital bedeutet nicht nur das Fehlen von Wissen und Fähigkeiten in zentralen Sektoren. Weiter kommt es zum Produktivitäts- und Innovationsrückgang sowie verringerten Steuereinnahmen. Viele Länder des Globalen Südens – so auch in Westafrika – gaben und geben große Anteile der Staatsausgaben für Bildung aus (s. Abb. unten). Durch brain drain gehen diese Investitionen in Humankapital verloren.
Abb. 1: Bildungsausgaben als Anteil an den gesamten Staatsausgaben, 2000 bis 2022
World Bank (2024): Education spending as a share of total government expenditure. URL: https://ourworldindata.org/grapher/share-of-education-in-government-expenditure
Brain Waste
Ein weiteres Konzept ist brain waste. Der Begriff beschreibt die Situation, in der hochqualifizierte Migrant:innen in Tätigkeiten beschäftigt sind, die nicht ihrem Qualifikationsniveau entsprechen. Sprachbarrieren, die Anerkennung von ausländischen Abschlüssen und Diskriminierung können zu einem ineffizienten Matching beitragen. Die Vergeudung der Fähigkeiten und des Wissens von ausländischen Fachkräften ist sowohl für die betroffenen Individuen als auch für die Gesellschaft als Ganzes nachteilig.
Aktuell wird unter der Überschrift Brain Waste darüber diskutiert, inwiefern Migranten ihr Humankapital ihren tatsächlichen Qualifikationen entsprechend einsetzen können – Stichwort: Anerkennung von Abschlüssen sowie effektive Vermittlung im Zielland – und ob sie bereits vor der Einreise mittels entsprechender Trainingsmaßnahmen besser vorbereitet werden sollten.
(Steinbrink & Schmiz 2019: 9)
(Steinbrink & Schmiz 2019: 9)
Brain Circulation
Die mit den Konzepten Brain Drain und Brain Gain suggerierte klare Unterscheidung nach Wanderungsgewinnern (Ankunftsgesellschaften) und Wanderungsverlierern (Herkunftsgesellschaften) wird der komplexen Realität indes nicht gerecht. [...] In der globalisierten Welt finden Migrationen (und damit die Mobilität von Humankapital) oft nicht einmalig und unidirektional statt, stattdessen verlaufen sie oszillierend bzw. zirkulär. Migrationsoptimisten argumentieren deshalb, dass die Migration von Hochqualifizierten nicht nur für das Aufnahme-, sondern auch für das Herkunftsland positive Folgen haben kann: Rückkehrer gründen Unternehmen, investieren und transferieren im Ankunftsland erworbenes Wissen und technologisches Know-how, sodass positive Entwicklungsdynamiken im Herkunftsland in Gang kommen.
(Steinbrink & Schmiz 2019: 9)
(Steinbrink & Schmiz 2019: 9)
Steinbrink, M., Schmiz, A. (2019): Migration und Entwicklung – Neue Debatten um ein altes Thema. In: Gamerith, W., Scharfenort, N. (Hrsg.): Menschen, Migration und Mobilität (Passauer Kontaktstudium Geographie15). Passau, S. 63-84.
Hunger, U. , Rother, S. (2021): Internationale Migrationspolitik. München: UVK.
Hunger, U. , Rother, S. (2021): Internationale Migrationspolitik. München: UVK.
In Anbetracht der Fokussierung auf zirkuläre Migration, Transnationalismus und Netzwerke in der Migrationsforschung gewinnt ein neueres Konzept an Bedeutung. Der Begriff brain circulation bezieht sich auf die dynamische Bewegung von hochqualifizierten Fachkräften zwischen Ländern und Regionen und beschreibt die zirkuläre und wechselseitige Natur dieser Migrationen. Dabei gehen Fachkräfte ins Ausland, um Erfahrungen zu sammeln, Wissen zu erwerben und berufliche Netzwerke zu erweitern, kehren dann aber in ihr Herkunftsland zurück oder bewegen sich weiter in andere Länder, wobei sie ihre gewonnenen Kenntnisse und Fähigkeiten mitbringen.
Humankapitalmobilität im (west)afrikanischen Kontext
Policy Recommendations
Um brain drain zu vermeiden und stattdessen von den positiven Effekten der Humankapitalmobilität und brain circulation zu profitieren, empfehlen afrikanische und internationale Institutionen migrationspolitische Maßnahmen. Der Migration Policy Framework der Afrikanischen Union (AU) nennt im Kapitel zur Arbeitsmigration folgende Strategien:
Durch die Förderung regionaler Mobilität sollen qualifizierte Arbeitskräfte dort eingesetzt werden, wo sie gebraucht werden. Das kann sowohl regionalen Arbeitskräftemangel als auch Arbeitslosigkeit lösen. Die Abwanderung hochqualifizierter Fachkräfte kann durch die Schaffung von Arbeitsplätzen und beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten im Herkunftsland verhindert werden. Die Einbeziehung der Diaspora sowie internationale Mobilitätsprogramme in Bildung und Beschäftigung erleichtern die Gewinnung und Rückkehr von Fachkräften.
Durch die Förderung regionaler Mobilität sollen qualifizierte Arbeitskräfte dort eingesetzt werden, wo sie gebraucht werden. Das kann sowohl regionalen Arbeitskräftemangel als auch Arbeitslosigkeit lösen. Die Abwanderung hochqualifizierter Fachkräfte kann durch die Schaffung von Arbeitsplätzen und beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten im Herkunftsland verhindert werden. Die Einbeziehung der Diaspora sowie internationale Mobilitätsprogramme in Bildung und Beschäftigung erleichtern die Gewinnung und Rückkehr von Fachkräften.
In einem aktuellen Bericht der Afrikanischen Entwicklungsbank zusammen mit der IOM wird "Skills Mobility" als eines von drei Kernthemen aufgegriffen. Die afrikanische Zusammenarbeit und der regionale/kontinentale Austausch werden als Chancen im Bereich der Humankapitalmobilität herausgearbeitet.
Nigeria possesses a strong skill base in the Information and Communication Technology (ICT) sector, with many Nigerians finding employed in the ICT sectors of other nations. While the ICT sectors of many African countries lag far behind continental leaders and the rest of the world, there is a noticeable absence of bilateral agreements between these countries and those with ICT expertise [...]. [T]here is an opportunity for Nigeria to ‘trade’ its ICT workers for workers from other nations who can address other skills shortages, such as teachers – many of which currently are informally imported from Ghana.
(AfDB and IOM 2023: 65f.)
(AfDB and IOM 2023: 65f.)
African Union (AU) (2018): Migration Policy Framework for Africa and Plan of Action (2018–2030).
African Development Bank Group (AfDB) and International Organization for Migration (IOM) (2023): Diaspora, Climate Induced Migration and Skills Mobility: A focus on Africa.
African Development Bank Group (AfDB) and International Organization for Migration (IOM) (2023): Diaspora, Climate Induced Migration and Skills Mobility: A focus on Africa.
Betroffene Sektoren in Ghana
IT- & Digitalbranche
Leseaufgabe
Auch Ghanas IT- und Digitalbranche hat vor dem Hintergrund eines globalisierten Arbeitsmarkts zu kämpfen. Junge und hochqualifizierte Talente aus Ghana sind nicht nur im Inland, sondern auch weit über die Grenzen des Landes gefragt.
Lies dir den kurzen Artikel "Braindrain in Ghanas Digitalbranche" aus der Zeitschrift E+Z durch. In der Vertiefung im Anschluss werden dazu einige Fragen gestellt.
Burchardt, M., Stoll, F (2023): Braindrain in Ghanas Digitalbranche. In: Entwicklung und Zusammenarbeit E+Z, 2, 23–24.
Gesundheits- & Bildungsbranche
In Ghana leiden besonders der Gesundheits- und Bildungssektor unter der Abwanderung von Fachkräften. Das Land hat Schwierigkeiten, sein Humankapital zu halten, da der Arbeitsmarkt nicht schnell genug expandiert, um mit dem Arbeitskräfteangebot Schritt zu halten. Trotz hoher Bildungsausgaben und steigender Einschreibungen an Hochschulen (s. Abb.) fehlt es an Kapazitäten, die Fachkräfte im Land zu halten.
Die Mehrheit des medizinischen Personals emigriert in das Vereinigte Königreich, die USA und Kanada. Auch Universitätsprofessoren verlassen das Land aufgrund höherer Gehälter und besserer Arbeitsbedingungen im Ausland. Diese Bewegungen reichen bis in die 1970er und 1980er Jahre zurück, als Ghana sich aufgrund verschlechterter sozioökonomischer und politischer Bedingungen zum Auswanderungsland wandelte und bedeutende Diasporagruppen entstanden.
Forderungen nach politischen Maßnahmen wie einer attraktiven Vergütung, einerBindung oder einer verpflichtenden Dienstzeit nach der Ausbildung wurden teilweise umgesetzt. Herausforderungen bestehen jedoch in der Aufrechterhaltung dieser Maßnahmen aufgrund makroökonomischer Probleme.
Trotz positiver Effekte bestimmter Politiken wird die Migration für hochqualifizierte Fachkräfte aufgrund der wirtschaftlichen Bedingungen und des langsamen Arbeitsmarktwachstums weiterhin eine attraktive Option bleiben.
Agyeman, E. A. (2016): Brain for Industries in the Global North: The Role of Educational Institutions in Ghana as a Migrant Sending Country. In: Studi Emigrazione, 201, 65–80.
Abb. 2: Einschreibungsquote im Hochschulbereich, 2000 bis 2022
World Bank (2023): Gross enrolment ratio in tertiary education.
URL: https://ourworldindata.org/grapher/gross-enrollment-ratio-in-tertiary-education
URL: https://ourworldindata.org/grapher/gross-enrollment-ratio-in-tertiary-education
Humankapitalmobilität in der M&E-Forschung
Leseaufgabe
Nun ein weiteres aktuelles wie interessantes Beispiel zum Thema Humankapitalmobilität – in diesem Text geht es um Ghanas Fashion-Branche.
Lies dir das Paper zu "Career geographies in the Ghanaian fashion industry" aus der Zeitschrift Globalisation, Society and Education durch (im Online-Magazin The Conversation gibt es von den Autor:innen dazu auch eine Kurzfassung, siehe rechts). In der anschließenden Vertiefung wirst du eingige Fragen dazu finden.
Adwoa Owusuaa Bobie, Akosua Keseboa Darkwah, Katherine V. Gough (2022): Career geographies in the Ghanaian fashion industry: from brain drain to brain gain and brain circulation. In: Globalisation, Societies and Education, 1–14.