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Verkehrsstrafrecht

vhb Kursdemo, Prof. Dr. Robert Esser

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Herzlich Willkommen in der Kursdemo zur Onlinevorlesung

Verkehrsstrafrecht

In dieser Kursdemo finden Sie einen kurzen Einblick in ein Lernmodul der Onlinevorlesung. Um uneingeschränkten Zugriff auf alle Kursinhalte zu erhalten, melden Sie sich bitte über die Homepage www.vhb.org zum Kurs an. Wir würden uns freuen, Sie in diesem Onlinekurs begrüßen zu dürfen und wünschen Ihnen viel Erfolg und Freude mit dem Onlinenangebot der VHB und der Universität Passau!
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§ 1 - Einleitung

A. Verkehrsstrafrecht – Allgemeines

 Das Verkehrsstrafrecht als die Gesamtheit aller Normen, die sich mit dem Verkehr von Fahrzeugen befassen, dient primär der Schaffung von Verkehrssicherheit.

Da in Deutschland nach Schätzungen des Kraftfahrt-Bundesamts etwa 54 Millionen Menschen eine Fahrerlaubnisberechtigung für PKWs (Führerschein) besitzen (davon sind etwa 37,5 Millionen im ZFER – zentrales Fahrerlaubnisregister registriert) und damit potentiell zu Tätern von Verkehrsstraftaten werden können, besitzt das Verkehrsstrafrecht nicht nur für die juristische Ausbildung (im Rahmen des Strafrechts Besonderer Teil), sondern auch in der juristischen Praxis erhebliche Relevanz.

Die Begehung von Verkehrsstraftaten ist ein Massenphänomen und ubiquitär, d.h. normal, da jährlich etwa ein Fünftel (2015: 20,4 %) aller Verurteilten wegen Verkehrsstraftaten verurteilt werden. Delikte werden dabei von jeder Alters- oder Gesellschaftsgruppe begangen. Heutzutage ist jeder Achte im Verkehrszentralregister erfasst und hat damit zumindest eine Verkehrsordnungswidrigkeit (zur Abgrenzung siehe unter B.) begangen.

Aufgrund dieser hohen Fallzahlen muss eine schnelle und vergleichbare Reaktion sichergestellt werden.
--> Bußgeldkataloge bei Ordnungswidrigkeiten
--> eigene Abteilungen der Staatsanwaltschaften nur für Straßenverkehrsdelikte 

Daneben weist das Verkehrsstrafrecht eine Vielzahl an Querschnittsgebieten auf, die sich mit dem Straßenverkehr und Verkehrsdelikten befassen und die ebenfalls berücksichtigt werden müssen.
Literaturhinweise:
Kraftfahrt-Bundesamt Flensburg, http://www.kba.de/DE/Statistik/Kraftfahrer/Fahrerlaubnisse/fahrerlaubnisse_node.html;jsessionid=ACE0997FEF02CA12A49B64DDBF20D941.live11292
Bönke, Das Verkehrsstrafrecht, 2007
http://www.krimlex.de/artikel.php?BUCHSTABE=V&KL_ID=200 (1998)
https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Rechtspflege/Tabellen/VerurteilteStrafart.html

B. Einordnung des Verkehrsstrafrechts ins Rechtssystem

I. Übersicht
II. Abgrenzung Ordnungswidrigkeitenrecht – Strafrecht
§ 1 I OWiG: „Eine Ordnungswidrigkeit ist eine rechtswidrige und vorwerfbare Handlung, die den Tatbestand eines Gesetzes verwirklicht, das die Ahndung mit einer Geldbuße zulässt“.
--> formale Definition der Ordnungswidrigkeit durch § 1 I OWiG
--> Ordnungswidrigkeiten als sogenanntes „Verwaltungsstrafrecht“, da Ausführung durch Verwaltungsbehörden

Aber: Verwaltung darf nicht strafen, daher nur Geldbuße!
--> Verfolgung nach Opportunitätsprinzip
--> Ordnungswidrigkeiten enthalten kein kriminelles Unwerturteil, sondern nur eine Mahnung zur Einhaltung der Vorschriften
--> 1968: Herabstufung verschiedener Verkehrsstraftaten zu Ordnungswidrigkeiten; „Entkriminalisierung des Strafrechts“
--> tatsächliche Abgrenzung zwischen Strafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht damit dem Gesetzgeber überlassen: „Die Grundsätze der herrschenden Auffassung legte das Bundesverfassungsgericht fest. Ein Kernbereich sozialethischer Vorwerfbarkeit ist ausschließlich dem Strafrecht vorbehalten, rein technische Verstoßnormen dem Ordnungswidrigkeitenrecht, und in der graduell einzustufenden Zwischenzone entscheidet über die Zugehörigkeit der Gesetzgeber“ (Bohnert, Karlsruher Kommentar zum OWiG, Einleitung, Rn. 93).
Literaturhinweise:
Bönke, Das Verkehrsstrafrecht, 2007
Rogall in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, Vorbemerkungen/Einleitung; 3. Auflage 2006
Wegerich/Scheibenpflug, NZV 2012, 414

C. Praktische Bedeutung des Verkehrsstrafrechts

I. Statistisches Datenmaterial
Verkehrsstraftaten sind ein Massenphänomen, das 2015 rund 20 % aller Verurteilten ausmachte. Bei der Auswertung der statistischen Daten fällt auf, dass sowohl bei deutschen als auch bei ausländischen Straftätern die Anzahl der männlichen Straftäter signifikant höher ist als bei den weiblichen Straftätern (näher dazu siehe gleich unter II.)
Hohes Dunkelfeld! Straßenverkehrsdelikte, die nicht zur Anzeige gebracht werden!
Die Zahl der Verstöße gegen das OWiG ist allerdings erheblich höher So konnten 2015 rund 4,1 Millionen Verstöße gegen das OWiG festgestellt werden. Häufigster Verstoß ist dabei sowohl bei Männern als auch bei Frauen die Geschwindigkeitsüberschreitung, wobei auch hier klar erkennbar ist, dass Verkehrsordnungswidrigkeiten eher von männlichen Fahrern begangen werden (Männer: ca. 2,1 Mio. / Frauen: ca. 626.000). Zu beachten ist aber auch im OWiG – vor allem aufgrund des Grundsatzes des Opportunitätsprinzips bei der Verfolgung – das beträchtliche Dunkelfeld.
 
Näher zu den Auswertungen 2015 siehe:
https://www.bundesjustizamt.de/DE/Themen/Buergerdienste/Justizstatistik/Strafverfolgung/Strafverfolgung_node.html
Kraftfahrt-Bundesamt Flensburg, http://www.kba.de/DE/Statistik/Kraftfahrer/Verkehrsauffaelligkeiten/verkehrsauffaelligkeiten_node.html

Für 2013: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/5395/umfrage/ordnungswidrigkeiten-und-straftaten-im-strassenverkehr-in-deutschland/
II. Kriminologische Erkenntnisse (2015)
- Bei der Aussagekraft des statistischen Datenmaterials ist zu beachten, dass die Verkehrsdelikte eine hohe Spannbreite aufweisen – neben einfachen Sachschäden und Parkunfällen werden auch Tötungen im Straßenverkehr erfasst

- Die klassische Verkehrskriminologie mit der Erforschung der „Täter“ und ihrer Taten scheint eher ein Schattendasein zu führen. Neuere Werke – aktuell Kühne, Steinwürfe auf den Straßenverkehr (2012) – erscheinen nur sporadisch.

--> Verkehrsstraftäter in der Mehrheit Männer: von 159.800 (bzw. 172.536) erfassten Straftaten waren bei 132.505 (bzw. 143.499) Männer involviert

--> hohe Verurteilungsquote bei Verkehrsstraftaten: Bei 159.800 (bzw. 172.536) abgeurteilten Straftaten wurde bei 151.039 Straftaten eine Verurteilung ausgesprochen

--> Verkehrsstraftaten werden auch von Jugendlichen verübt (z.B. Fahren ohne Führerschein): 1.798 Jugendliche 2015 verurteilt (zum Vergleich: 2011 wurden noch 4.203 Jugendliche  verurteilt); Heranwachsende: 7.424 Verurteilungen 2015; 12.663 Verurteilungen 2011

--> Verkehrsstraftaten bei der Altersgruppe über 60: 18.052 Verurteilungen (insgesamt: 151.039) – bei der Bewertung dieser Zahl sind vielfältige Faktoren wie ein schlechterer Gesundheitszustand, die freiwillige Abgabe des Führerscheins, o.ä. zu berücksichtigen

--> Zahl tödlicher Verkehrsunfälle sinkt, dennoch stirbt alle zwei Stunden ein Mensch im Straßenverkehr

--> bei Verkehrsdelikten vielfach weder Überforderung der Verkehrsteilnehmer noch unausweichliche Verkehrssituation vorliegend – Fehlverhalten Fahrzeugführer ausschlaggebend, 95% der Unfälle gehen auf menschliches Versagen zurück (Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Bußgeldkatalog, https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Artikel/LA/bussgeldkatalog.html)!

--> Geringfügige Korrelation zwischen allgemeiner Strafauffälligkeit und der Begehung von Verkehrsdelikten

--> „exposure to risk“ ebenfalls entscheidend – Berufskraftfahrer, etc. häufiger von Verkehrsdelikten betroffen

--> Fahrerfahrung: Unfallmaximum am Beginn der „Fahrkarriere“

--> Unfälle durch Überschätzung („der alternde Kraftfahrer“)

--> möglichst schnelle Ahndung von Verkehrsverstößen wichtig für Präventionswirkung

--> Ein Bestandteil der Verkehrskriminologie widmet sich der Auswertung von Unfallvorgängen und kann so auch verkehrsspezifische Faktoren für ein erhöhtes Unfallrisiko ausmachen. So konstatiert zum Beispiel Weber, Zur Ursachenforschung in der Kriminologie des Verkehrs, der in einem Zeitraum von einem Jahr Unfälle von Mopedfahrern untersucht hat, dass die Mehrzahl der Unfälle bei Querverkehr an Kreuzungen stattfand. Aus solchen Untersuchungen können Schlussfolgerungen gezogen und Verbesserungen geplant werden, die helfen können, die Unfallgefahr – auch durch städtebauliche Maßnahmen – zu verringern. Auch die Einführung der Gurtpflicht und der Dreipunktgurte sowie der Helmpflicht bei Motorradfahrern geht auf die Unfallforschung zurück.
Statistiken
2015: https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Rechtspflege/StrafverfolgungVollzug/Strafverfolgung2100300157004.pdf?__blob=publicationFile
2013: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/5395/umfrage/ordnungswidrigkeiten-und-straftaten-im-strassenverkehr-in-deutschland/
 
Literaturhinweise:
Eisenmenger/Hell in: Deutscher Verkehrsgerichtstag (Hrsg.), Der Deutsche Verkehrsgerichtstag 1963-2012, FS zum 50. Deutschen Verkehrsgerichtstag, 2012, S. 107-119
Schulze in: Deutscher Verkehrsgerichtstag (Hrsg.), Der Deutsche Verkehrsgerichtstag 1963-2012, FS zum 50. Deutschen Verkehrsgerichtstag, 2012, S. 237-257
III. Verkehrspsychologie
Die Verkehrspsychologie befasst sich mit den Wechselbeziehungen zwischen Mobilitäts-, Transport- und Verkehrssystemen einerseits und menschlichem Erleben und Verhalten andererseits.

Ziel ist es dann, aus den gewonnenen Ergebnissen eine erhöhte Anpassung des Systems „Straßenverkehr“ an den Menschen zu erreichen, wobei die Schwerpunkte der Verkehrspsychologie die Bereiche Fahrereignungsdiagnostik (Fahrtüchtig­keit/Fahreignung), Rehabilitation verhaltensauffälliger Fahrer, Verkehrstherapie, verkehrspsychologische Beratung und Verkehrspolitik sind.

Konkrete Beispiele für Ergebnisse der Verkehrspsychologie sind Fahrerassistenzsysteme, Maßnahmen zur Verkehrssicherheit sowie die Anpassung von Städten im Bereich Verkehrsführung. Gerade die gewonnenen Erkenntnisse der Verkehrspsychologie im Bereich der Fahrtüchtigkeit gewinnen in der juristischen Praxis für die Beurteilung der Fahrtauglichkeit (§§ 315c, 316 StGB) an Bedeutung.    

Verkehrspsychologen sind zudem ein gesetzlich geforderter Bestandteil medizinisch-psychologischer Untersuchungen (MPU).

Vgl. dazu: http://www.dgps.de/fachgruppen/verkehr/infos.html; http://www.bdp-verkehr.de/verband/index.html; http://www.klinikum.uni-heidelberg.de/Das-Arbeitsgebiet-der-Verkehrsmedizin-Verkehrspsychologie.3369.0.html
IV. Rechtsmedizin
Straßenverkehrsunfälle enden zwar häufig tödlich, 2016 gab es 3.214 Tote im Straßenverkehr. Die Tendenz seit 1991 (11.300) ist aber stetig sinkend, wobei die Zahl der Verkehrstoten 2016 den niedrigsten Stand seit mehr als 60 Jahren erreichte.

Vgl. https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2017/02/PD17_065_46241.html

Vgl. http://de.statista.com/statistik/daten/studie/185/umfrage/todesfaelle-im-strassenverkehr/); eine Obduktion durch die Rechtsmedizin wird aber nur in den seltensten Fällen angezeigt sein.

Viel eher ergibt sich für die Rechtsmedizin ein Betätigungsfeld im Rahmen der Straßenverkehrsdelikte unter Alkohol-, Medikamenten- oder Drogeneinfluss, bei denen jeweils die Werte bestimmt werden müssen.
Literaturhinweise:
Blum/Huppertz/Baldarelli, Verkehrsstrafrecht, 2015
Gebhardt, Das verkehrsrechtliche Mandat, Band 1, 8. Aufl. 2015