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Gerätturnen: Kippaufschwung am Reck (Himmelreich und Wittenzellner)

Es gibt viele Schüler, die gerne Sport studieren wollen. Der Sporteignungstest steht ihnen dabei noch im Wege. Die größte Hürde ist für die meisten das Turnen am Reck. Kaum einer geht in seiner Freizeit zum Turnen, man geht Fußball oder Basketball spielen. Trotzdem ist das Gerätturnen ein großer Bereich im Studium. Aufgrund des hohen Schwierigkeitsgrades des Kippaufschwung vorwärts vorlings am Reck wird im Folgenden eine Bewegungsbeschreibung und eine biomechanische Betrachtung der Übung aufgeführt.

1 Bewegungsanalyse (Johannes Wittenzellner)

Betrachtet man den Kippaufschwung vorlings vorwärts genauer, muss zunächst eine strukturelle Zuordnung vorgenommen werden. Hierbei ist festzustellen, dass die Bewegung sowohl eine Kipp-, als auch eine Aufschwungbewegung beinhaltet. (Knirsch, 1983, S.232) Im Folgenden wird eine Beschreibung der Bewegungstechnik nach Funktionsphasen durchgeführt.

1.1 Hilfsfunktionsphase 2. Ordnung

Die zu Beginn erfolgende Hilfsfunktionsphase 2. Ordnung (Abb. 1) umfasst sämtliche Aktionen, die den Übenden in die höchste KSP- Position vor dem Anristen bringen, beispielsweise aus dem Anspringen oder Vorschwingen. (Knirsch, 1983, S.232)
Abb. 1 (Knirsch, 1983, S.232)

1.2 Hilfsfunktionsphase 1. Ordnung

Es folgt die Hilfsfunktionsphase 1. Ordnung (Abb. 2). Hier schwingt der Körper aus der höchsten KSP- Position abwärts, wobei die Füße gleichzeitig aus einer etwas entfernteren Position an die Reckstange in den Kipphang gebracht werden. Erreicht der KSP die tiefste Position senkrecht unter der Reckstange, muss sich der Körper im Kipphang befinden. (Knirsch, 1983, S.232)
Abb. 2 (Knirsch, 1983, S. 232.)

1.3 Hauptfunktionsphase

An diese Bewegung schließt sich die Hauptfunktionsphase (Abb.3), welche durch die Hüftstreckung und die Stemmarbeit der Arme gekennzeichnet ist, an. Bei Passieren des KSP im Kipphang senkrecht unter der Reckstange beginnt die schnellkräftige Hüftstreckung durch Vorhochschieben der Beine an der Reckstange (Impulserhaltung).

Wenn die Stange etwa in Hüfthöhe ist (KSP passiert die horizontale Position), wird die Hüftstreckung abrupt abgebremst. Mit Beginn des Abbremsens der Hüftstreckung wird die Reckstange nach vorn unten gedrückt, was zu einer Aufwärtsbewegung der Schulter führt. Die Impulsübertragung wirkt beim Beenden des Abbremsens der Hüftstreckung auf die Hände, wodurch das Umsetzen der Hände ermöglicht wird. Während dieser ganzen Aktion bleibt das Kinn nach vorne auf der Brust geneigt. (Knirsch, 1983, S.233)
Abb. 3 (Knirsch, 1983, S.233)

1.4 Übergangsfunktionsphase

Vervollständigt wird die Bewegung nach der Impulsübertragung durch das Vorwärtsdrehen der Hände vom Hang in den Stütz bis in die Endposition des ruhigen Stützes. Dies kann als Übergangsfunktionsphase angesehen werden. (Knirsch, 1983, S.233)

2. Biomechanische Betrachtung (Luis Himmelreich)

Dober. 2010
"Die Kenntnis biomechanischer Gesetzmäßigkeiten des Gerätturnens ist Voraussetzung dafür, schwierige Bewegungsabläufe zu erfassen und zu erläutern, falsche von richtigen Bewegungen besser zu unterscheiden und methodisch genauere Anweisungen beim Erlernen der Übungen zu geben" (Stillger. 2003. S. 2). Stillgers Aussage zufolge können Turnbewegungen nur dann korrekt ausgeführt werden, wenn der theoretische Hintergrund des Bewegungsablaufs bekannt ist. Im Zuge dessen wird nachfolgend der Kippaufschwung vorwärts vorlings am Reck auf seine biomechanischen Eigenschaften untersucht.
 
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, den Kippaufschwung zu beginnen. Durch Anlauf oder andere Hilfsbewegungen wird eine Teilrotation des Körpers um eine feste Drehachse (die Reckstange) erzeugt. Diese Rotation endet im Umkehrpunkt, in dem die Winkelgeschwindigkeit des Körpers gegen Null strebt, "um sich im Sturzhangschwung unter der Wirkung der Schwerkraft mit umgekehrtem Drehsinn wieder aufzubauen" (Wiemann. 2013. S.107). Durch das Anristen erfolgt sowohl eine Massenannäherung, als auch eine Erhöhung der Rotationsgeschwindigkeit. Das Anristen bildet den Übergang vom Langhangschwungs zum Sturzhangschwung, der "Kernphase aller Kippen" (ebd., S. 105). Die Pendelverkürzung im Sturzhangschwung beginnt bereits, bevor der Körper senkrecht unter der Drehachse hindurch schwingt. Anschließend erfolgt der eigentliche Kippstoß. Dieser bildet den wesentlichen Anteil der Massenannäherung. Das Annähern des Körperschwerpunkts an die Drehachse geschieht durch die Hüftstreckung, ermöglicht durch die Drehimpulserhaltung (www.feuerlilie.de). Der Trägheitsmoment wird um fast 50% verkleinert und die Winkelgeschwindigkeit dadurch verdoppelt (vgl. Wiemann. 2013. S. 104). Das Blockieren der Hüftstreckung überträgt den Drehimpuls auf den Turner, wodurch der Oberkörper eine Beschleunigung vorwärts-aufwärts erfährt. Unterstützt wird der Vorgang durch die Stemmarbeit der Arme "gegen die Stange nach vorwärts-unten" (Söll. 1982. S.84). Sind die Einzelimpulse bezogen auf ihre zeitliche Koordination richtig ausgeführt, befindet sich der Körper am Ende der Übung in der Zielposition, dem Stütz.
 
Um das Prinzip, das hinter dem Gelingen dieser Bewegung steht, besser verstehen zu können, soll es hier an einem Beispiel veranschaulicht werden. Kinder auf dem Spielplatz benutzen diese Vorgänge der Drehimpulserhaltung oft unbewusst. Nachdem sie sich auf der Schaukel eingedreht haben, ziehen sie ihre Beine an, um sich schneller auszudrehen. Sobald sich bei Drehungen der Massenpunkt der Drehachse nähert, steigt die Rotationsgeschwindigkeit. Die Annäherung geschieht auf der Schaukel durch das Anziehen der Beine, am Reck durch das Anristen.
 
Details über die biomechanischen Vorgänge des Kippaufschwung vorwärts vorlings finden sich in der Dissertation von Frank Bächle: Optimierungsanalyse sportlicher Bewegungen: Die Suche nach optimalen Bewegungen mit algorithmischen Verfahren der Informatik und modellierenden Verfahren der Biomechanik.
Der Autor führt ab Seite 54 eine biomechanische Untersuchung und Bewertung dieser Turnübung auf. Der Link dazu befindet sich in den Quellenangaben.

3. Audiokommentare

4. Quellenangaben

Bächle, F. (2007). Optimierungsanalyse sportlicher Bewegungen: Die Suche nach optimalen Bewegungen mit algorithmischen Verfahren der Informatik und modellierenden Verfahren der Biomechanik [Website]. Zugriff am 06.11.2013 unter http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:21-opus-14414
 
Knirsch, K. (1983). Lehrbuch des Gerät- und Kunstturnens. Band 2: Technik und Methodik in Theorie und Praxis für Schule und Verein. Böblingen: Central- Druck Vertragsgesellschaft
 
Lange, S. (2012). Sportwissen aktuell: Reck - Kippaufschwung volings vorwärts (Laufkippe) [Website]. Zugriff am 07.11.2013 unter http://www.feuerlilie.de/privat/sonstiges/sportstunden/reck3.htm
 
Scheid, V. & Prohl, R. (2007). Kursbuch 3: Bewegungslehre (8. Auflage). Limpert Verlag. S.27.
 
Söll, H. (1982). Biomechanik in der Sportpraxis: Schwerpunkt Gerätturnen (2. Auflage). Schorndorf. Karl Hofmann Verlag.
 
Stillger, K. (2003). Gerätturnen Biomechanik: studienbegleitendes Skriptum für die praktisch didaktische Veranstaltung Gerätturnen an der Universität Augsburg [Website]. Zugriff am 07.11.2013 unter http://www.sport.uni-augsburg.de/studium/skripten/praxis/stillger/turn/Biomechanik1.pdf
 
Wiemann, K. Prof. Dr. (2013). Bewegungslehre und Methodik dargestellt am Beispiel des Gerätturnens [Website]. Zugriff am 07.11.2013 unter http://biowiss-sport.de/BMT.Kap.3.pdf

5. Abbildungsverzeichnis

Dober, R. (2010). Kippe am Reck [Website]. Zugriff am 11.02.2014 unter http://www.sportunterricht.de/lksport/kippereck.html

6. Interessantes

Hier ein anschauliches Video dazu, was die Drehimpulserhaltung leisten kann: http://www.youtube.com/watch?v=OHxA6dPqMes

Zuletzt geändert: 4. Dez 2014, 14:09, [lehner24]