Lehrvideos-Sport_Wikis_WS-2013-14
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2. Biomechanische Analyse (Wolfgang Resch)
Der Aufschlag im Tennis stellt eine relativ komplexe Bewegung dar, die aus wissenschaftlicher Sicht bei Berücksichtigung aller Einflussgrößen und Parameter schwierig zu erfassen ist. Charakteristisch für Tennis, andere Rückschlagspiele, aber auch weitere Sportarten wie beispielsweise Golf, ist nämlich, dass dabei freilich auch Aspekte der Schläger- und Ballmechanik eine wesentliche Rolle spielen und in der biomechanischen Fachliteratur auch dementsprechend berücksichtigt werden. (Hennig, 2009, S. 392-395; Wick, 2013, S. 278-281) Diese sollen jedoch nur der Vollständigkeit halber erwähnt werden und es soll sich fortan nur auf die eigentliche Biomechanik bezogen werden.
Schönborn (2011, S. 17) schlägt aus Gründen der Übersichtlichkeit und des besseren Verständnisses des Gesamtzusammenhangs für den Tennissport eine Darstellung der erstmals von Hochmuth 1967 publizierten biomechanischen Prinzipien analog zu deren chronologischem Auftreten während der Bewegungsausführung vor. Gemäß diesem Konzept sollen in den folgenden Kapiteln die insbesondere in der Aushol- und Schlagphase des Aufschlags relevanten biomechanischen Aspekte und wirksamen Prinzipien erläutert werden.
2.1 Ausholphase – Optimierung der Anfangsbedingungen
Die Ausholphase beginnt damit, dass Ball und Schläger vor dem Körper in den Händen gehalten werden und endet mit der maximalen Verwringung zwischen Schulter- und Beckenachse. Nach Menzel (1992, S. 115) dient sie vor allem der „Optimierung der Anfangsbedingungen (Vordehnung und Lagebedingungen) für die Schlagbewegung“ und der „Optimierung der Wurfhöhe (Position und Geschwindigkeit) des Balls.“ Wie sich die Vordehnung der Muskulatur aus biomechanischer Sicht begründen lässt, zeigt Kapitel 2.1.1. In Kapitel 2.1.2 soll zudem kurz auf die Bedeutung des Ballwurfs für die optimale Ausführung des Aufschlags eingegangen werden.
2.1.1 Vordehnung und optimale Lagebedingungen
Die Vordehnung der Muskulatur und die Verwringung des Oberkörpers, wodurch der Körper in eine Bogenspannung gebracht wird, folgen dem Prinzip der Anfangskraft, wobei die Anfangskraft folgendermaßen definiert werden kann:
„Zu Beginn einer Bewegung in Bewegungsrichtung wirkende Beschleunigungskraft. Durch das Abbremsen einer Auftakt- oder Gegenbewegung ohne zeitliche Unterbrechung zur Hauptbewegung tritt eine Anfangskraft auf. Das Abbremsen der Gegenbewegung erfordert eine Muskelspannung, die zu Beginn der Hauptbewegung für die Vergrößerung des Beschleunigungskraftstoßes genutzt werden kann." (Wick, 2013, S. 283-284)
Der Aufbau dieser Muskelspannung erfolgt dabei beim Tennis nach einem bestimmten Muster. So folgt einer rückwärtigen Rotation des Schultergürtels die Rückwärtsrotation der Hüfte, wodurch vor allem die schräge Bauchmuskulatur, die Rückenmuskulatur sowie die Gesäßmuskulatur vorgedehnt werden. Danach wird auch Spannung in der Oberschenkel- und Unterschenkelmuskulatur erzeugt. „Durch diesen Vordehnungsprozess [...] wird in der ganzen kinematischen Kette von oben nach unten eine Spannung und gleichzeitige Energiespeicherung erzielt, die für eine ökonomische und biomechanisch optimale Schlagbewegung unerlässlich ist.“ (Schönborn, 2011, S. 18) Der Schlagarm selbst wird dabei erst relativ spät in die Bewegung miteinbezogen, ist jedoch wichtig für die sogenannte Schlagauslage. Charakteristisch dafür ist, dass der Ellbogen hier seine tiefste Position erreicht. In Abbildung 1 wird sowohl die Bogenspannung, die maximale Verwringung zwischen Schulter- und Beckenachse als auch die tiefe Position des Ellbogens in der Schlagauslage deutlich.

Abb. 1. Ende der Ausholphase (Menzel, 1992, S. 115)
2.1.2 Bedeutung des Ballwurfs
Die Bedeutung des Ballwurfs für das Gelingen eines aus biomechanischer Sicht optimalen Aufschlags, ergibt sich alleine schon aus dem bereits dargestellten Prinzip der Anfangskraft. Es wurde erwähnt, dass die Anfangskraft nur wirksam wird, wenn keine zeitliche Unterbrechung zur Hauptbewegung vorliegt. (vgl. Kapitel 2.1.1) Auch Schönborn (2011, S. 20) beschreibt dies folgendermaßen: „Was die zeitliche Zuordnung betrifft, kann man behaupten, dass die Ausholbewegung fließend (d.h. ohne eine längere Pause an ihrem Ende) in die Schlagbewegung übergehen muss.“ Ein gutes Timing ist hier also eine wesentliche Voraussetzung. Um den Ballwurf wissenschaftlich zu erfassen, werden in diesbezüglichen Untersuchungen vor allem die Abwurfhöhe des Balls, sowie dessen maximale Flughöhe als ausschlaggebende Kriterien verwendet. Eine Abwurfhöhe von 90 bis 95 Prozent der Körperhöhe gilt hier als optimal. Studien zur maximalen Flughöhe liefern Werte zwischen 3,01m und 3,21m bei Frauen und zwischen 3,17m und 3,49m bei Männern. (Menzel, 1992, S. 115) Die Rolle der richtigen Position des Balls zu Beginn der Schlagbewegung darf also keinesfalls unterschätzt werden.
2.2 Schlagphase
Die Schlagphase beginnt beim Aufschlag im Umkehrpunkt der Vertikalbewegung des Ellbogens und endet zu dem Zeitpunkt, an dem der Schläger den Ball trifft. Als Hauptziel eines Aufschlags mit möglichst hoher Geschwindigkeit kann natürlich vor allem die Maximierung der Abfluggeschwindigkeit des Balls gesehen werden. (Menzel, 1992, S. 116) Um die biomechanischen Zielgrößen näher zu bestimmen und eine gewisse Operationalisierung vorzunehmen, schlagen Elliot et al. (1986) insbesondere die erwähnte Abfluggeschwindigkeit des Balls, die Ballrotation, die relative Abflughöhe des Balls sowie den Winkel zwischen der Bahn des Schlägerkopfes und der Horizontalen als geeignete Messwerte vor. (Elliot et al. 1986, zitiert nach Menzel, 1992, S. 116) Diese lassen sich in lagespezifische, d.h. hinsichtlich der Position des Schlägers oder des Körpers relevante Aspekte (Kapitel 2.2.1), und Einflussgrößen, die durch biomechanische Prinzipien näher erklärt werden können (Kapitel 2.2.2), unterteilen.
2.2.1 Wichtige Aspekte zur Schläger-, Ball- und Körperposition zum Treffzeitpunkt
Die Problematik des optimalen Ballwurfs wurde bereits in Kapitel 2.1.2 näher erläutert. Unmittelbar damit in Verbindung steht allerdings auch die Position des Schlägers und des Körpers zum Treffzeitpunkt, da der Ball ja am höchstmöglichen Punkt getroffen werden soll. Der Zielbereich liegt hier zwischen 145 und 160 Prozent der Körperhöhe, wobei bessere Spieler in der Regel aus einer größeren Höhe abschlagen: „Bei Turnierspielern erfolgt das Treffen des Balls in einer Flugphase. Daher ist die Abflughöhe größer als bei Spielern mit geringerem Fertigkeitsniveau.“ (Menzel, 1992, S. 117) Um eine derart hohe Treffposition zu erreichen, ist eine bestimmte Körperposition nötig. Diese lässt sich durch die Winkelstellung der einzelnen Gelenke präzise beschreiben. Die Abbildungen 2 und 3 zeigen die Winkel von Fuß-, Knie-, Hüft-, Schulter-, Ellbogen-, und Handgelenk zum Treffzeitpunkt. Hier wird deutlich, dass eine möglichst große Abflughöhe nur durch eine relativ gestreckte Position aller beteiligten Gelenke realisiert werden kann.

Abb. 2. Winkelstellung der Gelenke als Beschreibungsmerkmale der Körperposition zum Treffzeitpunkt (Menzel, 1992, S. 117)

Abb. 3. Gelenkwinkel (Mittelwerte) zum Treffzeitpunkt in der Sagittalebene (Menzel, 1992, S. 118)
2.2.2 Wirksamkeit biomechanischer Prinzipien
Das Erreichen einer möglichst hohen Abfluggeschwindigkeit des Balls beim Aufschlag im Tennis lässt sich wiederum durch biomechanische Prinzipien erklären. Konkret sind dies die zeitliche Koordination der Teilimpulse und die Impulserhaltung. Beide Prinzipien sorgen dafür, dass eine möglichst große Kraft auf den Ball übertragen wird.
Im Gegensatz zur Ausholphase, bei der die Muskulatur in Richtung von oben nach unten vorgedehnt wird, erfolgt das Auflösen der Bogenspannung beim Tennisaufschlag von unten nach oben. Schönborn (2011, S. 36) beschreibt diesen Vorgang als „Impulsübertragung über mehrere Teilkörper (einzelne Glieder der kinematischen Kette) hinweg“ oder als „Aufsummierung von Teilimpulsen“. Die Impulsübertragung von unten nach oben erfolgt dabei beim Tennisaufschlag nach folgendem Muster:
Zu Beginn erfolgt in der Unterschenkelmuskulatur ein exzentrischer Krafteinsatz, welcher auf dem Gesetz actio = reactio basiert: „Nach dem dritten Newtonschen Gesetz [...] erwirkt das Gewicht des Spielers (actio) eine Kraft auf die Erdoberfläche, die Aktionskraft genannt wird. Die Erdoberfläche reagiert aber mit der gleichen Gegenkraft (reactio) gegen den Spieler. Man spricht in diesem Fall von Bodenreaktionskraft.“ (Schönborn, 2011, S. 37) Die Intensität dieses Krafteinsatzes muss bei der beabsichtigten Ausführung eines Aufschlags mit maximaler Geschwindigkeit möglichst hoch gewählt werden. Anschließend erfolgt nacheinander eine konzentrische Anspannung der die in der kinematischen Kette aufeinanderfolgenden Gelenke umgebenden Muskulatur, wodurch die übertragenen Impulse von unten nach oben zunehmen und letztendlich eine maximale Beschleunigung des Schlägers erlauben: „Zuerst erreicht die Hüfte ihr Geschwindigkeitsmaximum, dann die Schulter, der Ellbogen, das Handgelenk und schließlich der Schlägerkopf.“ (Menzel, 1992, S. 119)

Abb. 4. Geschwindigkeits-Zeit-Verlauf von Hüfte, Schulter, Ellbogen, Handgelenk und Schlägerkopf (Menzel, 1992, S. 120)
Zu erwähnen ist diesbezüglich noch eine Tatsache, die auf den ersten Blick unlogisch erscheint, bei näherer Betrachtung jedoch einleuchtend begründet werden kann. Der Schläger wird nämlich kurz vor dem Treffzeitpunkt durch ein Anspannen der an der Griffhaltung beteiligten Muskulatur abgebremst, wodurch sich seine Geschwindigkeit leicht verringert. Erklären lässt sich dies folgendermaßen:
„Durch diese Fixierung wird die „effektive Masse“ (die für die Impulsübertragung eingesetzte Masse) vergrößert, indem zusätzlich zur Schlägermasse ein Teil der Masse des Schlagarms bei der Impulsübertragung eingesetzt wird. Darüber hinaus verhindert die Fixierung, dass der Schläger als Folge des Gegenwirkungsprinzips (actio – reactio) durch den Impuls während des Ballkontakts aus der Hand geschlagen wird." (Menzel, 1992, S. 120)
Andere Untersuchungen kommen im Wesentlichen zu der gleichen Erkenntnis, dass eine Erhöhung der Griffkraft mit einer Steigerung der Abfluggeschwindigkeit des Balls einhergeht. Stucke (1989, S. 415) folgert daraus, dass man „die Masse des Stoßteils [...] also durch bewusste Steuerung der Muskelaktivität variieren“ kann, ein Aspekt, der beim Aufschlag unbedingt ausgenutzt werden soll.
2.3 Ausschwungphase
Die Ausschwungphase ist aus biomechanischer Sicht weniger interessant und wird auch in der Fachliteratur nicht näher analysiert. Ziel ist hier das „Abbremsen der Schlägerbewegung“ sowie das „Abfangen der Vertikalbewegung des Körpers.“ (Menzel, 1992, S. 121) Wichtig ist sie zudem deshalb, weil sie meist fließend in die nächste Ausholphase übergeht und somit indirekt der Vorbereitung des nächsten Schlags dient.
Zuletzt geändert: 4. Dez 2014, 14:09, [lehner24]