Lehrvideos-Sport_Wikis_WS-2013-14
Reiter
***: (Ludwig und Zillner)
Die Laufbewegung (Bewegungsbeschreibung von B. Zillner; Grundlage: Matthias Marquardt - Laufanalyse)
Abgrenzung des Gehens vom Laufen
Das Gehen ist ein zyklische Bewegung, bei der der Körper von beiden Beinen abwechselnd unterstützt. Auf die Stützphase, in der Belastung und Beschleunigung erfolgen) folgt eine Schwungphase. Die Dauer der Schwungphase ist kürzer als die Stützphase (was erklärt, dass sog. doppelt unterstützte Phasen entstehen); sie macht nur etwa 40% der Gesamtbewegung aus. Der Armschwung beim Gehen beschreibt ein reaktives Armpendel ohne mechanische Notwendigkeit. Insgesamt bietet das Gehen mehr Stabilität als die Laufbewegung.
Der Übergang zwischen schnellem Gehen und langsamen Laufen ergibt sich, wenn sich die Dauer der Schwungphase der Dauer der Stützphase annähert und schließlich eine 50:50 Situation entsteht.
Das Laufen
Bei der Laufbewegung ist die Dauer der Stützphase kürzer als die Schwungphase, d.h. es gibt einen Moment in der Bewegung, in dem kein Bein mehr Kontakt zum Untergrund hält. Die Armarbeit unterstützt die Bewegungsstabilität durch Lastausgleich des kontralateralen Arms.
Die Laufbewegung ist jedoch keine einfache Beschleunigung der Gehbewegung. Zwar sind die Gangphasen und Laufphasen vergleichbar, Unterschiede treten aber v.a. im Moment des Fußausatzes auf. An diesem Punkt entsteht eine völlig andere muskuloskelettale Belastung.
Die Laufbewegung wird auch als Aneinanderreihung von funktionellen Einbeinständen beschrieben. Sie ist eine kreuzkoordinierte Bewegung, d.h. dass beim Vorschwung des rechten Beines der linke Arm mit nach vorne schwingt (und umgekehrt). Diese Kreuzkoordination dient als Lastausgleich auf der gegenüberliegenden Seite des Schwungbeins und der Stabilisierung des funktionellen Einbeinstands in der Stützphase.
Bei einer genaueren Betrachtung der Laufbewegung wird das Augenmerk auf folgende Merkmale gelegt:
- Der Kopf steht im Schwerelot über der Wirbelsäule, der Blick geht geradeaus Richtung Horizont.
- Es besteht eine leichte Vorneigung des Oberkörpers. Dies bietet die Möglichkeit einer Beschleunigung durch den resultierenden nahen Fußaufsatz in der Nähe des Körperschwerpunkts.
- Die Hände befinden sich in lockerer Haltung, die Arme sind etwas weniger als 90° gebeugt.
- Ein effektiver Kniehub ermöglicht das Auspendeln des Unterschenkels.
- Auf den Unterschenkelvorschwung folgt der Rückschwung des Unterschenkels, was zu einer Richtungsumkehr der Fußbewegung und damit zur Vermeidung von Bremskräften führt.
- Weitere Merkmale sind Kniebeugung, Hüftstreckung, Anfersen, Kippung des Beckens in der Sagittalebene, Kippung des Beckens in der Frontalebene, Rotation des Beckens und Schultergürtels in der Transversalebene, die Fußbewegung, Schrittlänge und Frequenz, Spurbreite und die Rotation der Fußlängenachse.
Unterschiedliche Phasenmodelle der Laufbewegung
- das Zwei-Phasen Modell nach Hannon et al.
- das Vier Phasen Modell nach Bauerfeld und Schröter
- das Sechs Phasen Modell nach Mann et al.
- das Vier Punkt Modell nach Markquardt.
Das Zwei-Phasen Modell:
Das Zwei-Phasen Modell unterscheidet beim Laufen eine Stützphase und eine Schwungphase. Die Stützphase beginnt mit dem ersten Bodenkontakt des Fußes und endet, wenn der Fuß den Boden verlässt. Sie beinhaltet damit sämtliche Reaktionen von Fuß- und Beinachse auf die Belastung und die Beschleunigung in der Abdruckphase.
Die Schwungphase beginnt mit dem Verlassen des Untergrundes und endet mit dem erneuten Bodenkontakt des Fußes. Dadurch ist keine Binnendifferenzierung der Schwungphase zwischen Anheben des Unteschenkels, Vorschwung und Kniehub sowie Auspendeln des Unterschenkels möglich.
Das Vier Phasen Modell:
Das Vier Phasen Modell unterteilt die Laufbewegung in eine vordere Stützphase, hintere Stützphase, vordere Schwungphase und eine hintere Schwungphase.
In der vorderen Stützphase amortisiert sich die Landungsbelastung. Dabei wird eine Vorspannung in der Streckerkette aufgebaut. Der Übergang zur hinteren Stützphase erfolgt, wenn das Lot des Körperschwerpunkts den stützenden Fuß passiert (das geschieht, wenn die Lotlinie des malleolus lateralis durch den trochanter major verläuft). Die hintere Stützphase dient der Entwicklung eines stabilen Abdrucks mit Hüftgelenksstreckung; während der vorderen Schwungphase erfolgt der Vorschwung des im Knie gebeugten Beins. Der Übergang zur hinteren Schwungphase geschieht, wenn der Fuß unter dem Körperschwerpunkt durch schwingt.
Währernd der hinteren Schwungphase wird das Bein erstmals entspannt, es folgt dann die Anhebung des Unterschenkels.
Das Sechs Phasen Modell:
Das Sechsphasenmodell unterteilt die Stützphase in drei Unterphasen mit den Namen Foot contact, Mid support und Toe off. Während des Foot contacts erfolgt die Stoßdämpfung, während des Mid support werden die Fuß- und Beinachse stabilisiert. Beim Toe-off erfolgt die Abdruckbewegung.
Stützphase:
Auch die Schwungphase unterteilt sich in drei Unterphasen. Das ist zum einen der Follow through, während dem der Unterschenkel vom Untergrund abgehoben und mindestens bis bodenparallel angeferst wird. Beim Forward Swing erfolgt eine aktive Hüftreflexion, das maximal flektierte Kniegelenk wird vorgezogen und angehoben („Kniehub“). Beim Foot descent schließlich erreicht das Kniegelenk seinen höchsten Punkt. Es folgt das auspendeln des Unterschenkels nach vorne und eine Rückzugbewegung des Unterschenkels bis zum Fußaufsatz.
Das Problem des Sechs Phasen Modells wird bei der Beschreibung verschiedener Laufstile deutlich. Die exakte Analyse aller sechs Phasen ist sehr (zeit)aufwendig. Um ein praktisches Analyseschema zur Beschreibung der individuellen Laufbewegung innerhalb eines vernünftigen Zeitraums zu schaffen, entwickelte Matthias Marquardt das Vier Punkt Modell. Zur Analyse werden wesentliche Winkel gemessen.
Das Vier Punkt Modell:
- Landung = erster Bodenkontakt
- Stütz = mittlere Stützphase
- Abdruck = letzter Bodenkontakt
- Schwung = Übergang der hinteren in die vordere Schwungphase
Bei der Betrachtung des mittleren Stütz erhält man Hinweise zu Oberkörperpositionen und Ausmaß der Knie- und Hüftgelenksbeugung in der Stützphase.
Die Beurteilung des Abdrucks basiert auf Betrachtungen der Armarbeit und Ausmaß der Hüftstreckung vorgenommen werden.
Mit dem Schwung wird auch die Qualität des Anfersens und der Kniegelenksflexion bewertet.
Der ideale Laufstil nach Marquardt
- Landung: erster Bodenkontakt, flach, nah am Körperschwerpunkt, leicht supiniert
- Stütz: Trochantor major senkrecht über Maleolus lateralis, Stabilität im Becken, nicht sitzend, physiologische Pronation
- Abdruck: letzter Bodenkontakt, über das Großzehengrundgelenk, weit hinter dem KSP
- Schwung: das kontralaterale Bein befindet sich im Stütz, Unterschenkel bodenparallel, Fuß locker hängend
Biomechanik der unterschiedlichen Laufstile (Ludwig)
Zur genaueren Betrachtung wird das Vier-Punkt-Modell von Marquardt zugrunde gelegt. Hier wird funktionell zwischen Landung, Stütz, Abdruck und Schwung unterschieden. Die charakteristischen Laufstile Vorfußlauf, Mittelfußlauf und Rückfußlauf unterscheiden sich im Wesentlichen durch die Landung (Marquardt, 2012, S. 83). Dementsprechend werden im Verlauf der Bewegung Muskelgruppen unterschiedlich stark beansprucht und deren Funktion begünstigt.
Vorfußlauf
Beim Vorfußlauf setzt das vordere Drittel des Fußes zuerst auf, wodurch die gesamte Streckerkette eine ideale Vorspannung erhält, um möglichst viel Kraft zu übertragen. Außerdem werden die auftretenden Stoßkräfte optimal abgedämpft, da in diesem Fall nicht nur das Knie und Hüftgelenk die Last abfedern müssen, sondern auch die Wadenmuskulatur dämpfend wirkt. Auch hierfür ist die optimale Vorspannung wesentlich (Marquardt, 2012, S. 83). Damit einher geht allerdingst, dass die Achillessehne erhöhten Belastungen ausgesetzt ist. Demgegenüber ist allerdings die retropatellare Druckbelastung verringert, da für den Vorfußlauf eine geringe Kniegelenksflexion charakteristisch ist (Marquardt, 2012, S. 83). Das Fersenbein hat zu keiner Zeit Bodenkontakt. Für einen optimalen Abdruck ist jedoch nicht nur die Vorspannung in der Beinmuskulatur und deren Kraftentfaltung wesentlich (Koordination von Teilimpulsen), sondern auch die entgegengesetzt wirkende Kraft der jeweiligen Unterstützungsfläche.
Mittelfußlauf
Bei dieser Laufform tritt das mittlere Drittel des Fußes zuerst in Bodenkontakt. Dabei ist das obere Sprunggelenk in Neutral-Null-Position, sodass durch den Rückschwung am Ende der Schwungphase der Unterschenkel nahezu senkrecht steht und deshalb dicht am Körperschwerpunkt aufkommt (Marquardt, 2012, S. 83). Eine hohe Bremsbewegung und die damit einhergehenden Belastungen für die Muskulatur und den passiven Bewegungsapparat werden dadurch minimiert. Durch den Aufsatz des Fersenbeins wird auch die Wadenmuskulatur und die Achillessehne im Vergleich zum Vorfußlauf entlastet (Marquardt, 2012, S. 84). Die auftretenden Kräfte werden größtenteils durch die natürliche Pronation, anteilig durch die Wadenmuskulatur, die Innenrotation der Beinachse und durch den proximalen Teil der Streckerkette abgefangen (Marquard, 2012, S. 84). Deshalb kommt es auch beim Mittelfußlaufen zu einer weniger ausgeprägten Knieflexion, was ähnlich wie beim Vorfußlaufen den retropatellaren Druck verringert.
Rückfußlauf
Der Rückfußlauf ähnelt in seiner Biomechanik der Gehbewegung. Kennzeichnend ist, dass das hintere Drittel des Fußes zuerst Bodenkontakt hat. Das Sprunggelenk hat auch hier eine Neutrale-Null-Stellung, wodurch der Unterschenkel, dem fehlenden Rückschwung geschuldet, vorgeschwungen ist (Marquardt, 2012, S. 85). Hierbei ist der Abstand zum Körperschwerpunkt hoch, sodass es zu einer Bremsbewegung kommt, die mit hohen Belastungen auf Muskel- und Gelenkstrukturen einhergeht. Da kaum Vorspannung in der Streckerkette gegeben ist, kann die Belastung nur minimal muskulär abgefangen werden. Eine übermäßige Rotation um die Fußlängsache (Überpronation) ist daher beim Rückfußlaufen häufiger anzutreffen (Marquardt, 2012, S. 85). Auch ist die Knieflexion vergleichsweise hoch, was den retropatellaren Druck erhöht. Aus biomechanischer Sicht scheint es für den translatorischen Aspekt der Laufbewegung nicht optimal, wenn die bereits bestehenden, horizontalen Kräfte (Laufgeschwindigkeit) zu Beginn jeder Landephase abgebremst werden. Zum einen wird die Geschwindigkeit dadurch verringert, zum anderen wird so ein Teil der Energie durch die Verformung der Körperstrukturen absorbiert. Die so entstehenden Gelenkswinkel sind nicht mehr optimal und belasten Weichteile und passiven Bewegungsapparat übermäßig.
Winkelbetrachtungen aus verschiedenen Ebenen (Ludwig)
Auch bei den Winkelmessungen und Betrachtungen sind die vier wesentlichen Punkte Landung, Stütz, Abdruck und Schwung entscheidend, da eine regelmäßige Dokumentation des vollständigen Winkelverlaufs in der Praxis nicht fehlerfrei umzusetzen ist.
Sagitalebene
Landung
Bei der Landung wird der Winkel des Unterschenkels zur Senkrechten ermittelt, der im Normfall 0°- 8° zugunsten eines Unterschenkelvorschwungs ausfällt (Marquardt, 2012, S. 93).Wie bereits erläutert, geht ein vergrößerter Unterschenkelwinkel mit höheren Bremskräften und somit mit einer Überlastung des retropatellaren Gleitlagers einher. Charakteristisch für einen erhöhten Unterschenkelwinkel ist der Rückfußaufsatz und somit ein Abrollen über die Ferse.
Stütz
Im Stütz wird der Kniegelenkswinkel gemessen. Ideal ist eine Flexion zwischen 30° und 40° (Marquardt, 2012, S. 94). Abweichungen von dieser Norm erhöhen den retropatellaren Anpressdruck entscheidend. Deshalb können Kniewinkel unter 30° Anzeichen für Schonhaltungen sein, die einem verletzten retropatellaren Gleitlager geschuldet sind (Marquardt, 2012, S. 94).
Abdruck
Beim Abdruck ist die Hüftstreckung biomechanisch von großer Bedeutung. Es wird die Position des Oberschenkels zur Senkrechten gemessen, aus welcher der Grad der Hüftstreckung abzusehen ist (Marquardt, 2012, S. 95). Eine Hüftextension von 20°-35° ist normal (Marquardt, 2012, S. 95, zit. nach Cavanagh 1990). Da eine auf diese Weise ermittelte Hüftgelenkstreckung nicht ausschließlich auf den Grad der Extension des Hüftgelenks alleine hinweist, muss auch eine verstärkte Extension des Oberschenkels -unter anderem durch eine Beckenkippung nach anterior - miteinbezogen werden (Marquardt, 2012, S. 95). Muskellängen im Hüftbereich (M. Iliopsoas) und haben sehr großen Einfluss auf diesen Winkel. Sowohl das Lauftempo als auch die Körpergröße haben entscheiden über die Hüftstreckung (Marquardt, 2012, S. 95).
Der Oberkörper ist im Idealfall um etwa 3° gegenüber der Senkrechten vorgeneigt (Marquardt, 2012, S. 96, zit nach Cavanagh, 1990). Der Kopf sollte auf der Wirbelsäule im Schwerelot sein (Marquardt, 2012, S. 96), die Unterarme sollten auf einer parallelen Linie zum gegengleichen Unterschenkel stehen (ebd.). Sind die Arme nicht ausreichend gebeugt, dann verringert sich die Frequenz im Armschwung, was dann direkt auch auf die Frequenz der Beinarbeit Einfluss nimmt (ebd.). Die Schrittlänge vergrößert sich und die Aufprallkräfte erhöhen sich aufgrund des gesteigerten Unterschenkelvorschwungs in der Landung (ebd.).
Schwung
Die Kniegelenksflexion nimmt je nach Lauftempo zu bzw. ab, sodass eine Exakte Messung dieses enorm Tempoabhängigen Winkels erschwert ist. In der Mitte der Schwungphase sollte der Unterschenkel ungefähr parallel zur Unterstützungsfläche sein (Marquardt, 2012, S. 97). Abweichungen hiervon können einerseits im Lauftempo begründet sein, andererseits können auch Kraft- und Koordinationsdefizite innerhalb der Laufbewegung eine Ursache darstellen.
Frontalebene
Beinachsenwinkel
Bei der Analyse der Beinachsenwinkel aus der Frontaleben muss beachtet werden, dass die Knieflexion bei zweidimensionalen Aufnahmen das Messergebnis verzerrt (Marquardt, 2012, S. 102). Unter Berücksichtigung dieses Messfehlers sind Abweichungen bis 3° in O- oder X-Beinrichtung der Normbereich (Marquardt, 2012, S. 103). Fehlstellungen der Beinachse sind oftmals in Fußfehlstellungen begründet, was bei eventuell anstehenden Korrekturmaßnahmen stets zu berücksichtigen ist.
Achillessehnenwinkel
Der Achillessehnenwinkel wird herangezogen, um den Pronationsgrad zu bemessen. Untersucht wird der Winkel zwischen der Strecke [Unterschenkelmitte–Achillessehnenansatz[ und der Strecke [Achillessehnenansatz–distales Fersenbein]. Abwichungen von 8°-12° valgus entsprechen der Norm (Marquardt, 2012, S. 105). Die Pronationsbewegung ist jedoch von vielfältigen Faktoren beeinflusst, sodass eine alleinige Messung dieses Winkels nicht ausreichend ist, um eine Überpronation zu attestieren. Beinachsen und Fußgewölbe müssen ebenfalls untersucht werden.
Fersenbodenwinkel
Dieser Winkel beschreibt die Stellung des Fersenbeins zum Untergrund und ist daher anders als der Achillessehnenwinkel raumbezogen (Marquardt, 2012, S. 106). In den Normbereich fallen hier Abweichungen von 4° varus bis 2° valgus (ebd.). Wie auch beim Achillessehnenwinkel verändert sich die Winkelstellung im Verlauf der Stützphase, sodass hier erhöhte Vorsicht bei der Messung gegeben sein sollte.
Zuletzt geändert: 4. Dez 2014, 14:09, [lehner24]